Univerciné Deutsches Filmfestival 2009
Wholetrain, Graffiti auf extreme Art
Interview mit Florian Gaag, Regisseur und Drehbuchautor von «  Wholetrain  »
Immersion in die unterirdische Graffiti-Welt. Mit Wholetrain, dem Kinodebüt von Florian Gaag, schildert dieser die Realität der Graffiti-Parallelkultur, deren Grenzen, Gefahren und Adrenalin. Ein persönlicher Blick auf diese Gegenkultur, gespeist durch die eigene Sprayer-Vergangenheit in München. Eingeladen von Univerciné, präsentiert der Regisseur einen rauen Film, fernab der üblichen Klischees.
Wholetrain ist ein hochspannender Film über die Subkultur Graffiti und spielt im Untergrund des Münchner Stadtrands. Augenblicklich wird der Zuschauer von den Beats des Original-Hip-Hop-Soundtracks in das turbulente und geheime Leben von vier jungen Graffiti-Writern hineingesogen. Um ihrer Leidenschaft nachzugehen sind diese bereit alle Opfer zu bringen, ihre Ausbildung abzubrechen oder hinter Gittern zu enden.
Wholetrain beschäftigt sich mit Graffiti, entstanden in sozial schwierigen Stadtteilen, wie mit einer wilden und jungen Kunst, die für diese Jugendlichen die letzte Ausdrucksmöglichkeit darstellt. Der Films ist intensiv, ja sogar brutal in seiner szenischen Umsetzung. Eine künstlerische Gewalttätigkeit umschrieben durch realitätsnahe grafische Wettstreits zwischen rivalisierenden Crews, deren ultimative Herausforderung das Besprühen einer kompletten Zugreihe ist. Wholetrain, ein Film, der diese Graffiti-Gegenkultur, aber auch eine harte gesellschaftliche Realität bezeugt.
Fragil : Welche Aussage möchten Sie mit dem Film machen ? Möchten Sie weiter gehen als die über die Medien sonst gewöhnlich vermittelten Stereotypen ?
Der Film hat keine wirkliche Botschaft, ich beabsichtige nicht eine Message verbreiten zu wollen. Tatsache ist, dass Gewalt ein Bestandteil des Ursprungs dieser Graffiti-Kultur ist, einer im Wesentlichen männlichen Kultur. Die Graffiti-Writer stammen überwiegend aus benachteiligten Milieus. Durch den Film hindurch richte ich einen gewissen Blick auf diese Kultur, der ich eine Zeit lang selbst angehörte, aber dies ist nur meine Sichtweise. Nicht alle Graffiti-Writer sind so, wie ich sie in Wholetrain darstelle.
Fragil : Während des ganzen Films spürt man eine permanente Spannung, die zwischen den Verfolgungen durch die Polizei und den Wettstreits der Crews oszilliert : Ist diese gespannte Atmosphäre Ihrer Meinung nach untrennbar von dieser Kunst ? Wäre das Interesse der Sprayer dasselbe ohne dieses Risiko, diese Verbote ?
Die Spannung ist direkt mit der Graffiti-Kultur verbunden, sofern es um eine illegale Handlung geht. Sie werden ständig von der Polizei verfolgt. Ich wollte diese Energie übertragen, dieses Adrenalin, das sie antreibt, ja sogar den Reiz des Verbotenen. Aber dies ist nicht ihre Hauptmotivation, ihr kreativer Antriebsmotor, vor allem für die Mehrheit der Graffiti-Writer, für die Graffiti eine Kunst ist. Dies ist daher weit entfernt von der traditionellen soziologischen Erklärung, die regelmäßig falsche Interpretationen hervorbringt. In der Tat weiß man wenig über das Graffiti-Milieu, das sehr stigmatisiert wird.
In der Tat weiß man wenig über das Graffiti-Milieu, das sehr stigmatisiert wird.
Fragil : Die Tags sind illegal, waren die Dreharbeiten schwierig ? Ist es einfach eine offizielle Genehmigung und Förderung für ein solch sensibles, gar unbequemes Thema zu finden ?
Keine einzige Szene wurde unberechtigt gedreht. Der Drehverlauf ist generell relativ einfach und schnell. Aber für Wholetrain brauchten wir hierfür zwischen sechs Monate und einem Jahr. Wir mussten uns mit zahlreichen Problemen auseinandersetzen, insbesondere mit dem Verkehrsbetrieb der Deutschen Bahn, die sich weigerte uns Zugwaggons zur Verfügung zu stellen. Über einen New-Yorker Freund, der ursprünglich aus Warschau kommt, konnten wir eine Genehmigung bekommen. Die Szenen in der U-Bahn wurden somit in Warschau gedreht. Die Förderung war aus politischen Gründen ebenfalls schwierig, da damit die Rechtfertigung von Graffiti einhergehen würde – die Ermutigung zur Sachbeschädigung, die mit Graffiti verbunden wird. Einige Kinobesitzer haben sogar die Ausstrahlung des Films abgelehnt. Das Thema macht Angst und die Öffentlichkeit hat noch immer Schwierigkeiten einen Film zu sehen, in dem es um Graffiti mit Hip-Hop-Sounddesign geht.
Was die Zusammenarbeit anging, wurde die Auswahl der Künstler aufgrund ihrer Affinität zur Graffiti-Kultur getroffen, oder aufgrund ihrer Vergangenheit als Writer.
F : Der Hiphop, allgegenwärtig im Film, haucht den Szenen einen Rhythmus, eine Dynamik ein. Wie hat sich der Hip-Hop in der Originalband durchgesetzt ?
Für mich ist die Musik wichtiger als der Film selbst, weil ich sie, umgeben von anderen Künstlern, selbst komponiert habe. Sie ist ein wesentliches Element, das dem Film eine andere Interpretation, einen Rhythmus schenkt. Der Hip-Hop war ebenfalls eine persönliche Wahl. Nicht alle Sprayer hören nur Hip-Hop, man darf das nicht verallgemeinern. Aber der Hip-Hop stellte eine Welt dar, die ich gut kannte, da ich für ein Hip-Hop-Magazin in New York, „Juice“, gearbeitet hatte. Was die Zusammenarbeit anging, wurde die Auswahl der Künstler aufgrund ihrer Affinität zur Graffiti-Kultur getroffen, oder aufgrund ihrer Vergangenheit als Writer ; wie beispielsweise der Rapper KRS One, der auf der Straße gelebt hat und der mit der Graffiti-Kunst hantierte. Wir haben mehrere Künstler kontaktiert, aus Boston, Philadelphia, New York, Los Angeles und München. Wir haben wirklich an der Musik gearbeitet. Ich habe den Rappern meine Anweisungen übermittelt, mit Themen, die direkt mit verschiedenen Szenen des Films verbunden waren, damit die Stücke der Originalband und des Szenarios eins werden.
F : Heute wird Graffiti in Galerien ausgestellt und von Kritikern anerkannt. Steht das nicht im Widerspruch zum Wesen der Straßenkunst Graffiti ?
Ich verurteile diese Entwicklung nicht. Es ist richtig, dass viele Kunstgalerien den Straßenkünstlern wie den Sprayern mehr und mehr Platz zugestehen, und dass es viele interessante Werke von großer künstlerischer Qualität gibt. Man muss wissen, dass es der Ursprung der Kunst ist, sich eines Teils des öffentlichen Raums zu bemächtigen. Und Graffiti ist nun einmal eine Straßenkunst. Beide können also, meiner Meinung nach, ohne weiteres nebeneinander existieren.
F : Haben Sie sich für diesen ersten Film auf bestimmte Werke oder Referenzen gestützt, die Ihre ästhetische Auswahl rechtfertigen könnten ?
Ich habe große musikalische Einflüsse. Wie ich gesagt hatte, spielt die Musik im Film eine wichtige Rolle. Der Funk bleibt eine große Inspirationsquelle. Was die Regie betrifft, bin ich eher ambivalent. Das geht von den Dardenne-Brüdern bis zu Larry Clark, Paul Thomas Anderson, der unter anderem Boogie Nights realisiert hat oder vor kurzem There will be Blood, oder auch Michael Mann.
F : Nach dem Erfolg Ihres ersten, mehrfach ausgezeichneten Films – was sind Ihre zukünftigen Projekte ?
Es stimmt, dass es mittlerweile einige Zeit her ist, dass Wholetrain die Festivals der ganzen Welt durchschritten hat, und nebenbei einen hübschen kleinen Ruf für sich verbucht hat, insbesondere im Kreis der Sprayer-Gemeinschaft. Aber mein nächster Film wird ganz anders sein. Ich arbeite an einem Psycho-Thriller, eine Geschichte über Mobbing unter 14-jährigen Jugendlichen. Im Gegensatz zu dem, was ich vorher gemacht habe, werde ich einen ästhetischen Blickwinkel wählen.
Thomas Cléraux et Caroline Dubois
Übersetzung : Verena Schneider und Nicole Reinhardt
Bande-Annonce
Mehr Infos
Die Filmwebseite
Univerciné Cinéma Allemand, die Webseite des Deutschen Filmfestivals in Nantes
Le Katorza, das Filmkunstkino in Nantes
Cet article a été réalisé conjointement par une équipe d’étudiants du Département Infocom de l’Université de Nantes. Equipe : Solène Castex, Jean Annaix, Thomas Cléraux, Caroline Dubois. Coordination éditoriale et pédagogique : Emilie Le Moal.
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