Ostdeutsches Kino
Die Legende von Paul und Paula oder der Erfolg eines populären Films in der ehemaligen DDR.
Gespräch mit Cyril Buffet und Caroline Moine, Historiker
Die 1973 veröffentlichte Legende von Paul und Paula setzte sich in den Kinos der DDR trotz der Zensur und der vorgeschriebenen Kontrolle der DDR-Regierungspartei SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) durch. Der Film illustriert die Suche nach dem individuellen Glück in einer total homogenisierten Gesellschaft, durch eine Geschichte, die von bedingungsloser Liebe handelt. Retrouvez cet article en version française.
Vom 07. bis 25. Januar 2009 war das Cinématographe in Nantes, unter der Leitung des französisch-deutschen Kulturzentrums, Gastgeber eines Rückblicks auf die DEFA (Deutsche Film Aktiengesellschaft), ein nationales Filmstudio der ehemaligen DDR, mit Sitz in Potsdam-Babelsberg, nahe bei Berlin.
In der angenehm gedämpften Atmosphäre eines kleinen Kinos in Nantes wurden die Zuschauer wie in einer Zeitmaschine in eine oft vergessene oder ignorierte „ostalgische“ Atmosphäre zurückversetzt. Zahlreiche Zeitzeugen, Historiker und Filmemacher haben ihre Ansicht bzw. Erfahrungen zu diesem Fragment der Geschichte geschildert. Caroline Moine und Cyril Buffet, beides auf die ehemalige DDR spezialisierte Historiker, haben den unerwarteten wie auch verrückten Erfolg der Legende von Paul und Paula beleuchtet.
Geburt eines Kultfilms
Seit seiner Veröffentlichung im Jahre 1973, wurden die Kinosäle gestürmt : 1,5 Millionen Zuschauer bei 12 Millionen Einwohnern im Laufe des ersten Monats. Bis zur Einstellung der Projektion, nach der Flucht der Hauptakteure in den Westen, in den frühen 80er Jahren, brachte es der Film insgesamt auf nicht weniger als 3 Millionen Besucher in der DDR. Heiner Carow und Ulrich Plenzdorf (Regisseur u. Drehbuchautor) wollten einen populären, erfolgreichen Film realisieren, ohne auf dokumentarischen Realismus, welcher in den Produktionen der DEFA sehr präsent war, zurückgreifen zu müssen. Es sollte ein Blick auf die Gesellschaft gerichtet werden, allerdings durch das Erzählen einer fiktiven Geschichte. Daraus ergibt sich die Bedeutung des Drehbuchs, wie auch der Musik der Band die Puhdys, die Ausdruck des jugendlichen Geschmacks am Anfang der 70er Jahre darstellen.
Der Regisseur u. der Drehbuchautor wollten einen populären, erfolgreichen Film realisieren, ohne auf dokumentarischen Realismus, welcher in den Produktionen der DEFA sehr präsent war, zurückgreifen zu müssen
Der Film zeigt dem Publikum das Porträt von Paula, einer jungen emanzipierten Frau, dargestellt von Angelica Domröse, die es ablehnt, sich den Forderungen einer Gesellschaft zu beugen, die durch stark-konservative Traditionen geregelt ist. Paula verkörpert den Traum der Selbstverwirklichung. Das Streben nach ihr stellt eine Antwort auf die Erwartungen der ostdeutschen Gesellschaft zu Beginn der 70er Jahre dar. Sie verliebt sich in Paul, der in einem stabilen Umfeld lebt. Er ist beruflich erfolgreich, hat ein Kind und wohnt in einem modernen Mehrfamilienhaus. Paula hingegen lebt über einem alten Kino, einem Symbol der Fantasie anstatt der Modernität. Sein sehr exzentrischer, starker Charakter stört den Alltag von Paul, der eigentlich den kleinbürgerlichen Konformismus anprangert.
Seine Ästhetik, 100 % Flower Power, gibt dem Film eine sehr psychedelische Note, die auch in der Charakteristik der 70er Jahre verankert ist. Cyril Buffet bestätigt, dass bereits in den 60er Jahren westliche Einflüsse im Kino der DEFA möglich waren. Ostdeutsche Filmemacher sind zu der Zeit auf dem Laufenden, bezüglich dessen, was jenseits des Eisernen Vorhangs passiert, selbst wenn diese Filme nur als Gegenbeispiele gezeigt werden.
Ein Wind der Freiheit wehte durch die DDR
1971 wird Erich Honecker Generalsekretär der ostdeutschen kommunistischen Partei (SED). Seine Ankunft wird von dem Willen zur Öffnung des Regimes begleitet, welches sich liberaler zeigen möchte. 1973, organisiert das DDR-Regime das zehnte Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Berlin, welches auch Musikgruppen aus dem Westen einlud. Die ganze Inszenierung hat zum Ziel, Honeckers „liberales“ Image zu stärken.
Dieser Wind der Freiheit hat in jenen Jahren, auch Auswirkungen auf die Produktion von Kinofilmen. So kann Produzent H. Carow in diesem Zusammenhang profitieren und seinen Film veröffentlichen. Das Zensurkomitee der DEFA nahm allerdings auf das Ende des Drehbuchs Einfluss, welches ursprünglich als triefend-kitschiges und gefühlsduseliges Happy End geplant war. So wird jedoch Paula brutal an die Realität erinnert : ihr Schicksal illustriert in den letzten Minuten die tragischen Auswirkungen eines Lebens des Ehebruchs und der freien Liebe.
Die Änderung des Endes hat zwar die Moral des Films umgestaltet, das Zensurkomitee griff jedoch nicht weiter ein, obwohl Die Legende von Paul und Paula unmissverständlich Kritik am sozialen Konformismus äußert. "Die erste Reaktion Honeckers war, den Film zu verbieten, aber der Generalsekretär änderte seine Meinung angesichts des Erfolges beim Publikum während der Vorpremiere.", erklärt Cyril Buffet. Caroline Moine fügt hinzu, dass die DEFA in ihrer Funktionsweise nicht monolithisch sei und es mehrere Verantwortlichkeitsebenen gäbe. Die Legende von Paul und Paula wurde von der Gruppe Berlin [1] produziert, ein Mikrokosmos, der eine Veröffentlichung des Films, trotz seines subversiven Aspekts, bevorzugte. Dies erlaubt eine differenziertere Sichtweise auf die DEFA, das Funktionieren der Zensur, und das komplexe Spiel der verschiedenen Darsteller.
Die Legende von Paul und Paula illustriert ein besseres und differenzierteres Bild der DDR und insbesondere der Stellung der Frau in der ostdeutschen Gesellschaft als Das Leben der Anderen
Porträt einer emanzipierten Frau
Überraschend bleibt jedoch die Rolle der emanzipierten Frau, unkompliziert dargestellt durch Paula. Caroline Moine erklärt, dass sich die Filmemacher oft weiblicher Figuren bedienten, um die Schwierigkeiten aufzuzeigen, zugleich im Beruf, wie auch privat erfolgreich zu sein." Alle diese Figuren kritisierten das von der Regierung offiziell vorgeschlagene Modell."
Weitere Porträts emanzipierter Frauen veranschaulichen diese Absicht : Der Dritte, mit Jutta Hoffmann ist ein Film der DEFA, der die Frage der weiblichen Emanzipation, nicht nur auf das Recht auf Arbeit, sondern gleichermaßen auf das Verhältnis Mann Frau bezieht. Solo Sunny von Konrad Wolf aus dem Jahr 1979 erzählt die Geschichte einer jungen Fabrikarbeiterin, die Sängerin werden möchte. Das Recht auf Selbstverwirklichung und die Infragestellung der sozialen Ordnung sind omnipräsente Themen in diesen Geschichten.
Feststeht aber : "Die Legende von Paul und Paula ist nicht repräsentativ für die Filme der DEFA, es ist ein “Ufo”, eine Ausnahme, präzisiert Caroline Moine. Der Film illustriert aber ein besseres und differenzierteres Bild der DDR und insbesondere der Stellung der Frau in der ostdeutschen Gesellschaft als Das Leben der Anderen." Die Legende von Paul und Paula wurde nach 1989 im Westen gezeigt, und erlebte einen zweiten Schub, eine zweite Erfolgswelle.
Retrouvez cet article en version française.
Emilie Le Moal, Anne Lienhart, Marina Baril
Übersetzung : Marco Streit
Mehr Infos
Das deutsch-französisches Kulturzentrum in Nantes
Es war einmal in der DDR : Rückblick auf die DEFA
[1] die Gruppe bestand aus Regisseuren u. Autoren wie Slatan Dudow, Gerhard Klein, Wolfgang Kohlhaase , Wera u. Klaus Küchenmeister
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